Jahreszeitlich abhängige Stimmungsschwankungen – Stimmungstief im Herbst oder saisonal abhängige Depression?

Ein zeitweiliges Stimmungstief bei regnerischem Herbst-Wetter in Deutschland, das scheint nichts Ungewöhnliches zu sein. Jahreszeitliche Schwankungen der Befindlichkeit sind eher die Regel als die Ausnahme. Vorübergehende leichte Beeinträchtigungen der Stimmungslage im Herbst sind Zeichen einer Saisonalität der Befindlichkeit. Die kürzer werdenden Tage im Herbst verdeutlichen, welchen Einfluss Tageslicht bzw. Sonnenscheindauer für die Stimmungslage haben.


Saisonal abhängige Depression (SAD)

Kommen jedoch zu einem zeitweiligen Stimmungstief weitere Beschwerden hinzu, wie Antriebslosigkeit, eine anhaltend depressive Stimmungslage, Tagesmüdigkeit und Energielosigkeit, die dann auch noch im Verlaufe des Winters an Stärke zunehmen, dann besteht der Verdacht auf eine saisonal abhängige Depression (Miller 2005). Stellen sich diese Beschwerden über mehrere Jahre nur in den Herbst- und Wintermonaten ein, sprechen die Experten von einer Herbst-Winter-Depression, die ärztlich behandelt werden muss. Für den Arzt ist es nicht immer einfach, die Grenze zwischen einer vorübergehenden Befindlichkeitsstörung und einer saisonalen Depression zu ziehen.

Die saisonalen Veränderungen der Stimmungslage können als eine Art Kontinuum verstanden werden, mit der „Saisonalität“ an einem Ende und der Herbst-Winter-Depression am anderen Ende der Skala. In der Mitte befinden sich Personen, deren Symptomausprägung auffällig geringer ist als die der Patienten mit einer Herbst-Winter-Depression, die sich aber dennoch durch ihre Beschwerden wesentlich beeinträchtigt fühlen.

Auch die mildeste Form der jahreszeitlich abhängigen Stimmungsschwankung, die Saisonalität zeigt in ihrer Häufigkeit eine deutliche Abhängigkeit von der geographischen Breite. Je weiter nördlich die Menschen leben, desto häufiger wird der Aussage zugestimmt „im Winter fühle ich mich schlechter“. Beispielsweise beschreiben knapp 47 Prozent der Menschen in New York eine Saisonalität ihrer Stimmung, während die Saisonalität in Florida keine Rolle zu spielen scheint.


Häufigkeit der saisonal abhängigen Depression

Für die extreme Form der Herbst-Winter-Depression (auch SAD, von Seasonal Affective Disorder; saisonal abhängige Depression) wird in der Literatur für unsere Breiten eine Prävalenz von etwa 5 Prozent angegeben. Von diesem Vollbild der saisonal abhängigen Depression kann eine subsyndromale SAD (S-SAD) abgegrenzt werden (Kasper et al 1988). Diese mildere Form einer saisonalen Depression ist in unseren Breitengraden deutlich häufiger. Sie zeigt ähnliche Symptome wie die SAD nur in abgeschwächter Form. Für die Betroffenen bedeuten aber auch diese vergleichsweise mäßig ausgeprägten Beschwerden eine deutliche Einschränkung in der Lebensqualität. Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 10 bis 20 Prozent der Bevölkerung von dieser saisonalen depressiven Störung betroffen sind (Miller 2005).


Risikofaktoren 

Der bevorzugte Aufenthalt in Innenräumen und die fehlende Sonnenlicht-Exposition in den Herbst-Winter-Monaten scheinen bedeutsame Risikofaktoren für die Entwicklung der Herbst-Winter-Depression zu sein.

Anscheinend reagieren Frauen wesentlich anfälliger als Männer auf saisonale Veränderungen, Das Geschlechterverhältnis liegt bei etwa 3 zu 1. Außerdem scheint die Anfälligkeit mit dem Alter zu sinken. Das Durchschnittsalter bei Erkrankungsbeginn liegt zwischen 25 und 40 Jahren. Die Symptome beginnen meist im Oktober mit einem Maximum im Januar und Februar, um sich im März wieder zurückzubilden. Anderen europäischen Studien zufolge fühlen sich die betroffenen Patientinnen am schlechtesten in den Monaten November und Dezember. Zwischen dem ersten Auftreten der Symptome bis zur Diagnosestellung vergehen im Mittel etwa 10 Jahre.


Symptome der saisonal abhängigen Depression 

Das am häufigsten von Patienten mit einer Herbst-Winter-Depression genannte Symptom ist eine subjektiv erlebte Energielosigkeit (98% aller Patienten) und eine depressive Stimmungslage (93%), wobei sich diese Depressivität im Verlauf der Herbst-Winter-Monate steigert. Auch Angstzustände und Tagesmüdigkeit werden häufig genannt. Ein größerer Teil (65%) beschreibt eine Appetitzunahme und Heißhunger auf kohlenhydratreiche Nahrungsmittel, vor allem Süßigkeiten. Rund Dreiviertel der Patienten gaben eine erhöhte Irritabilität an. Eine Libidoabnahme wird häufig berichtet (74 %), ebenso eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit bei der Arbeit.


Einfluss der geographischen Breite auf die Erkrankungshäufigkeit

Aus Untersuchungen zur Häufigkeit der Herbst-Winter-Depression in den USA ist bekannt, dass mit zunehmendem nördlichen Breitengrad und damit größeren Schwankungen in Bezug auf die Tageslänge, die Häufigkeit der saisonalen depressiven Störungen zunimmt. Bei der milderen Form der Herbst-Winter-Depression, der S-SAD lag die Prävalenz in New York (40 Grad nördlicher Breite) bei 12,4 % während sie in Fairbanks (64 Grad Nord) mit 24 % angegeben wurde. Die für Europa dokumentierten Häufigkeitsangaben zeigen einen geringeren Effekt der geographischen Breite. Beispielsweise wurde in den Niederlanden (53 Grad Nord) eine Prävalenz von 3,1 % für die ausgeprägte Form der Herbst-Winter-Depression beschrieben, während unter der milderen Form 8,5 % der Menschen litten. Vergleichbare Zahlen liegen für Großbritannien vor: SAD: 2,9 %, S-SAD: 9,5 % und für die Schweiz: SAD: 2,2 %, S-SAD: 8,9 %. Die Abhängigkeit von der geographischen Breite wird an den Zahlen aus Finnland deutlich: SAD: 9,5 % und S-SAD: 18,4 %.


Behandlungsmöglichkeiten

Zahlreiche Untersuchungen belegen den deutlichen Einfluss von Licht und Helligkeit auf die Ausprägung der Beschwerden. Eine Vielzahl von Studien belegt, dass eine Lichttherapie die Symptomatik einer Herbst-Winter-Depression deutlich bessert. Als notwendige Behandlungsdauer wird eine tägliche Anwendung der Lichttherapie über mehrere Wochen angesehen. Als optimale Dauer der einzelnen Anwendung haben sich 20 bis 40 Minuten mit hellem, weißen Licht (10.000 Lux) bewährt (Terman et al. 2006). Eine neuere Untersuchung dokumentiert auch einen Sofort-Effekt. Bereits nach der ersten Anwendung der Lichttherapie mit 10.000 Lux über 20 bis 40 Minuten besserte sich die Stimmungslage von Patienten mit einer saisonal abhängigen Depression (Virk et al. 2009).

Die Ansprechrate auf die Lichttherapie wird in der Literatur mit bis zu 70 Prozent angegeben, wobei so gut wie keine Nebenwirkungen angeführt werden. Bezogen auf die Wirksamkeit scheint es zudem keinen Unterschied zu machen, ob die Lichttherapie am Morgen oder am Abend durchgeführt wird. Wobei sich die zweimal tägliche Anwendung morgens und abends als wirksamer erwiesen hat als die einmal tägliche Behandlung (Lee et al. 1997). Frühzeitig angewandt, kann die Lichttherapie die Entstehung dieser saisonalen Depression häufig verhindern. Studien deuten darauf hin, dass auch bei diesen Formen der Depression eine Störung im Serotonin-System vorliegt (Neumeister et al. 1997).

Die gute Nachricht ist, dass sich die Beschwerden der milden Form einer saisonalen Depression bei den meisten Patienten mit den länger werdenden Tagen ab dem Monat März von selbst verflüchtigen.


Gibt es Alternativen zur Lichttherapie?

Als beste Vorbeugung werden längere Aufenthalte im Freien an den wenigen verbleibenden Sonnentagen im Herbst und Winter angesehen.
Möglicherweise kann auch auf diätetischem Wege Einfluss auf die Stimmungslage genommen werden. Verschiedene Untersuchungen geben Hinweise, dass der Aminosäure Tryptophan, einer Vorläufersubstanz des Serotonins, eine wesentliche Bedeutung in der Behandlung zukommen könnte (Raymond et al. 1997). Für die tägliche Einnahme von Tryptophan konnten in Studien ähnlich gute Ergebnisse dokumentiert werden wie für eine Lichttherapie (Miller et al. 2005, McGrath et al. 1990). Es liegen zudem erste Hinweise vor, dass die Wirkung von Tryptophan länger anhaltend ist als die der Lichttherapie (Ghadirian et al. 1998). Während sich bei den Studienteilnehmern die Beschwerden der Herbst-Winter-Depression nach Beendigung der Lichttherapie kurzfristig wieder einstellten, blieben die Patienten, die Tryptophan erhalten hatten, länger beschwerdefrei (Ghadirian et al. 1998).

Fazit: Die saisonal abhängige Depression ist eine Störung, die sehr gut auf eine nicht-medikamentöse, natürliche Behandlung wie der Lichttherapie anspricht. Für diejenigen, die sich aus unterschiedlichen Gründen nicht einer regelmäßigen, ein- bis zweimal täglichen Lichttherapie über ca. 30 Minuten unterziehen können, besteht die Möglichkeit einer diätetischen Behandlung mit der Aminosäure Tryptophan.

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Literatur:

  • Miller AL. Epidemiology, etiology, and natural treatment of seasonal affective disorder. Altern Med Rev. 2005 Mar;10(1):5-13. Review.
  • Terman M. Review: light therapy is an effective treatment for seasonal affective disorder. Evid Based Ment Health. 2006 Feb;9(1):21.
  • Neumeister A, Praschak-Rieder N, Besselmann B, Rao ML, Glück J, Kasper S. Effects of tryptophan depletion on drug-free patients with seasonal affective disorder during a stable response to bright light therapy. Arch Gen Psychiatry. 1997 Feb;54(2):133-8.
  • Kasper S, Rogers SL, Yancey AL, Schulz PM, Skwerer RG, Rosenthal NE. Phototherapy in subsyndromal seasonal affective disorder (S-SAD) and "diagnosed" controls. Pharmacopsychiatry. 1988 Nov;21(6):428-9.
  • Raymond W Lam, MD, Robert D Levitan, MD Edwin M Tam, MD3, Lakshmi N Yatham, MB, Sophie Lamoureux, BA, Athanasios P Zis, MD. L-Tryptophan Augmentation of Light Therapy in Patients with Seasonal Affective Disorder. Can J Psychiatry. 1997 Apr;42(3):303–306.
  • McGrath RE, Buckwald B, Resnick EV. The effect of L-tryptophan on seasonal affective disorder. J Clin Psychiatry. 1990 Apr;51(4):162-3.
  • Ghadirian AM, Murphy BE, Gendron MJ. Efficacy of light versus tryptophan therapy in seasonal affective disorder. J Affect Disord. 1998 Jul;50(1):23-7.

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